In Concert: The Notwist, Radiokulturhaus, Wien, 28.04.2008

We were one with the freaks
von Andreas Gstettner

Wieder einmal bin ich davon überzeugt worden, dass die Wirkung eines Konzertes sehr stark mit Erwartungshaltungen verknüpft ist. Nachdem das neue Notwist Album "The Devil, You & Me" streckenweise leise und in sich gekehrt ist, war meine Erwartung, dass sich die Acher Brüder Markus (Gitarre, Gesang) und Micha (Bass) und Martin Gretschmann (Elektronik) sanft durch ihr neues Material spielen werden. Jedoch weit gefehlt. Am gestrigen Abend haben The Notwist einmal mehr unter Beweis gestellt, was für grandiose Musiker sie sind, und dass sie es schaffen, ihren künstlerischen Anspruch auch live umzusetzen.

Und schon eröffnet die fünfköpfige Band mit "Pick Up The Phone" den elektronischen Pop-Reigen. Die vertrauten Samples und Beats werden von Martin "Console" Gretschmann mit den zwei Bedienungselementen einer Wii-Konsole ferngesteuert. Wie ein magischer Zaubermeister steuert er für uns unsichtbar die kratzenden Geräusche und fischt in dem riesigen Klangpool nach den richtigen Sounds. Daneben wippt Micha Acher von den ersten Tönen an mit seinem Bass in den Groove vertieft. Konzentriert und mit jener sich wiederholenden Körperbewegung, die man schon vor fünfzehn Jahren beobachten konnte. Alle Mitglieder von The Notwist sind von Beginn an miteinander verschmolzen und agieren als ein gefühlvolles Kollektiv, das um seine Stärken Bescheid weiß.

Nachdem Markus das Ende des Songs mit spitzen Gitarrenschlägen ganz oben am Steg einleitet und die letzten Töne im Raum verhallen, legt er am nebenstehenden Tisch die Nadel auf den Plattenteller. Mit einem kurzen Knistern holt er in Sekundenschnelle das Andromeda Mega Express Orchestra in den Sendesaal. Die Streichersätze leiten den zweiten Titel der neuen Platte ein, "Where In This World".
Es funktioniert perfekt. Satte Sub Bässe drücken angenehm in die Magengrube und wenn Markus "Where in this world could I go?" mit fast gebrochener Stimme intoniert, findet man sich in einer Welt wieder, in der die Zeit still stehen zu scheint. Das akribische Tüfteln erzeugt einen fast schwerelosen Soundteppich und lässt einen intensiven Spannungsbogen entstehen, der sich in weiterer Folge über den ganzen Abend zieht. Jeder, der den Klangarchäologen auf die Finger schaut, scheint die hypnotische Wirkung der Songs in eigene Bewegungen zu übersetzen.

Mittlerweile haben The Notwist wieder zu Neon Golden gewechselt und der neue Schlagzeuger Andy Haberl kündigt mit den Elektro-Pads den Beat der famosen Nummer "One With The Freaks" an. Als er nach einigen Minuten passend zur Textzeile "Have you ever been all messed up?" auf das organische Schlagwerk wechselt, lässt die ganze Band die Zügel los. Es bietet sich ein wunderbares Soundschauspiel, in dem The Notwist ihre Rockvergangenheit mit der elektronischen Popgegenwart zu einem einzigartigen, neuen Moment verschmelzen lassen. Mit dem nächsten Song bleiben wir in der Zeit von "Neon Golden", der Platte, die der Weilheimer Band die Tür über den großen Teich nach Amerika eröffnet hat. Dabei scheint sich der musikalische Kosmos der Band bei dem Stück "This Room" zu verselbstständigen. Aus dem finalen Samplegewitter heraus, das von Martin Gretschmann mit seinen Fernsteuerungen unter Kontrolle gehalten wird, löst sich eine kleine Pianomelodie. Sie holt uns in die Gegenwart und formt sich zu dem poppigsten Stück der neuen Platte, "Boneless".

Nach nur knapp drei Minuten verschränkt sich diese kleine Pop-Perle mit einer brüchigen Version von "Neon Golden", die sich gegen Ende zu einem funkigen Dancefloor-Beat entwickelt, um den viele New Raver die Weilheimer beneiden würden. Spätestens in diesem Moment wünscht man sich die angenehmen Sitzgarnituren weg, schaltet geistig die Discokugel ein und lässt der aufgestauten Tanzenergie freien Lauf. Zumindest im Kopf. Bis die Band beginnt, auch dieses Groove-Monster zu dekonstruieren. Aus verschrobenen Sounds und einer zerfallenden Klangwolke schält sich der Rhythmus von "Day 7" heraus. Das Eröffnungsstück der Platte "Shrink", die für The Notwist die große Wende darstellte. Die heutige Version gleicht einem langen, intensiven Loop, der einen weiteren Spannungsbogen in der übergeordneten Dramaturgie bildet und ankündigt, dass die Zeitreise nicht hier stehen bleibt. Denn mit "My Phasebook" folgt ein Song von dem Album "12" das mittlerweile schon dreizehn Jahre am Buckel hat. Noch nie war Noise 2008 so schön, wie in diesem Moment.

"On Planet Off" ist die logische Verbindung der Punk-Vergangenheit mit der gegenwärtigen intensiven Elektronikphase. Zeitweise scheint der Klangkosmos undurchdringbar zu sein und die Frage, wer da eigentlich was macht auf der Bühne, stellt sich da schon lange nicht mehr. Vor allem bei "Gloomy Planets" fällt auf, dass der Mischer hinter seinem Pult wesentlich zum gelungenen Abend beiträgt. Die ganz eigene Art, den Snaredrum-Sound zu modulieren und langsam zu entfalten macht ihn eigentlich zum weiteren Live-Mitglied der Band. Das ganze Set wirkt wie aus einem Guss, dessen Ende mit dem neuen Titelsong "The Devil, You & Me" eingeleitet wird.

Nach frenetischem Applaus lassen sich The Notwist nicht viel Zeit, um wieder auf die Bühne zu kommen und als Zugabe noch "Chemicals" und "Gone Gone Gone" zu spielen. Auch die zweite Zugabe, das leisere "Sleep", begeistert durch die gefühlvolle Umsetzung und in dem Moment, als Markus "The sun was up all night" singt, macht sich dieses schöne Sehnsuchtsgefühl breit, dass alle Notwist Songs begleitet. Ein perfektes Ende für einen absolut wundervollen Abend.


Playlist:
01. Pick Up The Phone
02. Where In This World
03. One With The Freaks
04. This Room
05. Boneless
06. Neon Golden
07. Day 7
08. My Phasebook
09. On Planet Off
10. Gloomy Planets
11. Pilot
12. The Devil, You & Me
13. Chemicals
14. Gone Gone Gone
15. Sleep

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